Offener Brief an die Geschäftsführung
Sehr geehrter Herr Hess-Grunewald, sehr geehrter Herr Baumann, sehr geehrter Herr Filbry,
so ziemlich genau ein Jahr ist mittlerweile vergangen, seitdem die bis dahin am Fanbeirat teilnehmenden Gruppen sich zum Verlassen dieser „Dialog“-Plattform entschieden haben. Die Gründe sowie unsere Bedingungen sind Ihnen bekannt und müssen daher nicht noch einmal wiederholt werden. Unser Hauptkritikpunkt war die öffentliche Präsentation des Fanbeirats als Dialog, während wir darin seit längerer Zeit genau diesen Dialog vermissten und Ihnen dies auch stets offen kommunizierten. Seitdem haben wir das Handeln der SV Werder Bremen GmbH & Co. KG aA immer aufmerksam verfolgt. Doch wie vor kurzem bereits in einem kritischen Saisonrückblick aus der Ostkurve richtigerweise angemerkt wurde, herrscht in puncto Kommunikation weiterhin Stillstand. Zwar gab es Ihrerseits Versuche, die Gespräche mit uns Ultras wieder aufzunehmen, doch wurde stets betont, dass sich an der Struktur und dem Modus des Fanbeirats nichts ändern wird. Der beste Beweis dafür, dass unsere Kritik weiterhin richtig platziert ist, und eine Garantie dafür, dass es auch in absehbarer Zeit zu keiner Wiederaufnahme der Gespräche kommen wird.
Nun folgte allerdings ein neuer Versuch, die Werder-Fanszene an den Tisch zu bekommen, um sich auf diese Weise über die Lage des Profifußballs und entsprechende Reformideen auszutauschen. Interessant, so unmittelbar nachdem der FC St. Pauli mit bestem Beispiel voranging und zusammen mit Ultrà Sankt Pauli und weiteren Fangruppierungen ein Positionspapier veröffentlichte und alle Vereine aufforderte, die DFL mit der strukturellen Umsetzung der enthaltenen Punkte zu beauftragen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre müssen wir fragen: Wer gibt uns die Sicherheit, dass dies nicht doch nur eine Finte ist, die im Endeffekt nur dazu dient, der Öffentlichkeit kommunizieren zu können, dass man mit den Fans in Klausur gegangen ist, um Ideen zur Zukunft des Profifußballs zu sammeln? Wo ist die Gewissheit, dass fanpolitische Belange und unsere Interessen tatsächlich Gehör finden und nicht bloß im Raum verpuffen, weil Sie sich letzten Endes doch wieder dazu gezwungen sehen, sich den Dynamiken des Kapitalismus stillschweigend zu beugen?
Keine Frage: Dass die Existenz vieler Vereine beziehungsweise ihrer ausgegliederten Unternehmen gefährdet ist, davor lassen sich die Augen nicht verschließen. Und dass unser geliebter SV Werder hart unter den derzeitigen Umständen zu leiden hat, ist uns auch ohne die neusten Zahlen bestens bekannt. Entsprechend sind überlegtes Handeln und Reformen für den Profifußball gefragt und von enormer Bedeutung. Doch ist dies nichts, was wir erst seit heute an Sie heranzutragen versuchen. Unzählige Male hat es Ideen, Anregungen und Lösungsansätze der Fans gegeben, um als SV Werder den eigenen Werten gerecht zu werden, den Fußball umzudenken und wenigstens zu versuchen, alternative Wege zu gehen. Als jüngstes Beispiel ist hier die Finanzierungsidee zum Erhalt des Stadionnamens zu nennen, auf die man sich seitens der Geschäftsführung schlicht und ergreifend nicht einlassen wollte. Stattdessen wählten Sie – getreu den typisch deutschen Devisen „Das haben wir schon immer so gemacht!“ und „Das haben wir noch nie so gemacht!“ – den einfachsten, bequemsten Weg. Es entsteht daher mehr und mehr der Eindruck, als sei der oftmals vermarktete und gerne betonte „Werder-Weg“ nicht unbedingt etwas Besonderes, Individuelles oder gar Innovatives, um sich vom Rest abzuheben, sondern letztendlich nicht viel mehr als der einfachste Weg, der den Fans mehr oder minder als unausweichlich verkauft wird. Zwar ist uns bewusst und unsererseits auch oft genug betont worden, dass es kaum möglich ist, sich von den kapitalistischen Dynamiken loszusagen und gleichzeitig im System „Profifußball“ bestehen oder wettbewerbsfähig bleiben zu wollen. Doch wirkt es auf uns zunehmend unsouverän, wenn sich die Geschäftsführung dabei stets in die Opferrolle zu flüchten versucht, um das eigene Handeln zu rechtfertigen. Beispielsweise hat nicht erst die Covid19-Pandemie den SV Werder in eine missliche Lage gebracht. Vielmehr ist die derzeitige Situation auch auf jahrelang gepflegte verfehlte Vorstellungen, wie wirtschaftliches Handeln in diesem System „Profifußball“ auszusehen hat, und eine lange Zeit ausgebliebene Kritik am unsolidarischen Umgang innerhalb der DFL zurückzuführen.
Statt sich also als Opfer des Systems zu präsentieren und die oftmals lautstark betonte soziale Verantwortung des Vereins zum wiederholten Male über Bord zu werfen, indem man die Werder-Fans auf irrsinnigste Weise um die womöglich lang ersparten Dauerkarten-Gelder anbettelt, wäre es wesentlich angebrachter gewesen, sich der eigenen Verantwortung innerhalb des Profifußballs bewusst zu werden und diese auch klar zu kommunizieren. Nachhaltigkeit, kreative Lösungsansätze, Reformen und Visionen, die nicht nur einem finanziellen Interesse entspringen, sind gefragt, statt uns Fans, die wir uns eh einer immer größer werdenden Entfremdung gegenübersehen, in einer Zeit, in der eine Pandemie Existenzen bedroht, zur Kasse zu bitten, um Ihre Fehler auszubaden. Denn mit der sogenannten „Kurvenheld“-Aktion ist dem Verein nur punktuell beziehungsweise situativ geholfen, während die kommende Saison mit all ihren finanziellen Hürden und Unwägbarkeiten bereits an die Tür klopft. Allein der Stadionbetrieb mit all den zu besetzenden Positionen für eine reibungslose Umsetzung dürfte bei mangelnder Auslastung ein Minus-Geschäft für den SV Werder bedeuten, fehlen doch neben den ausbleibenden Karteneinnahmen auch der Umsatz aus dem Catering.
Das Ergebnis Ihrer gemeinsamen Saisonanalyse, das in der Presselandschaft treffend mit „Es darf kein ‚Weiter so!‘ geben“ zusammengefasst wurde, muss sich daher unserer Meinung nach auch auf die wirtschaftliche Ausrichtung der SV Werder Bremen GmbH & Co. KG aA beziehen. Fortan müssen auch schwierigere Wege gegangen werden, statt den einfachsten Weg zu wählen und ihn als unausweichlich darzustellen. Denn wie im Hamburger Positionspapier richtigerweise betont wird, ist ein anderer Fußball möglich – er braucht eben nur eine Stimme. Wir fordern Sie daher auf, statt nun weitere Forderungen, Positionen und Ideen in die Waagschale zu werfen, dem FC St. Pauli vor den anderen Vereinen der DFL zur Seite zu springen und sich für die strukturellen Reformen, die im Positionspapier der Hamburger vorgestellt werden, in ihrer Gänze einzusetzen, eine entsprechende Umsetzung zu fordern und sich maßgeblich daran zu beteiligen.
Caillera Ultras im August 2020