Zitat von
Christian Günther
Mich stört es massiv, dass die Differenzen in mehreren Berichten so dargestellt werden, als hätte sich einzig Werder unsportlich verhalten. Gerade dieses Branding von Werder als niveaulose Rüpeltruppe und von Kohfeldt als unfair ist total verquer.
Einfach nur nochmal eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse:
- Februar 2020: Weil das Europa-League-Spiel von Frankfurt in Salzburg von Donnerstag auf Freitag verlegt wurde, hütterte jammerte Frankfurt massiv öffentlich über eine Gefährdung der Wettbewerbsintegrität und verlangte eine Verschiebung des Spiels in Bremen, das am Sonntagabend hätte ausgetragen werden sollen. Von Werder verlangten Bobic und Hütter "Empathie" gegenüber dem eigenen Verein, da dieser ja die Bürde der Europapokalteilnahme zu tragen habe.
- Tatsächlich wurde dieses für uns so wichtige Spiel dann in eine erstmal nicht datierte Zukunft verschoben. Um einen kleinen Wettbewerbsvorteil von Werder zu beseitigen, wurde fix eine weitere englische Woche eingeschoben, die Werder im Vergleich zur Konkurrenz im Abstiegskampf einen Wettbewerbsnachteil bescherte. Darauf angesprochen verwies man bei Frankfurt fröhlich darauf, dass Werder gegenüber der SGE ja keinen Nachteil habe, da diese sich ja am kommenden Wochenende auch wieder stellen müssten und es da für sie ebenso schwer würde. Entsprechend hat Frankfurt dann ja auch das Derby gegen Mainz wenige Tage später verloren, was Werder übrigens zusätzlich richtig zusetzte. Dass das Spiel aufgrund der Verlegung letztlich ohne Zuschauer ausgetragen werden musste und Werder dadurch finanziell auch noch einmal richtig wehtat, war Frankfurt hingegen vollkommen egal. So groß war die Empathie am Main dann auch nicht.
- Im Pokalviertelfinale ist das Spiel zu Gunsten Frankfurts schon gelaufen, als Kostic in der 94. Minute grundlos Toprak verletzt. Der erleidet eine ernste Verletzung am Syndesmoseband und macht deshalb kein Spiel mehr in der Saison. Ein harter Ausfall für Werder. Ironie der Geschichte, dass Toprak durch die Verletzung auch das Nachholspiel gegen Frankfurt verpasst und sich Frankfurt durch Spielverlegung und Kostic-Foul auch noch personell einen Vorteil für das Ligaspiel "erarbeitet" hat. Hütter und Bobic zeigen für den verletzten Toprak oder Werders Ausfall ein überschaubares Maß an Empathie, sehr viel Verständnis hingegen für den unsportlichen Tritt von Kostic und jammern öffentlich über die Ungerechtigkeit, dass dieses Foul völlig selbstverständlich zu einer Sperre von mehreren Spielen führte.
- Anfang dieser Saison wertet Hinteregger ohne jegliche Not und ohne Anlass dann auch noch Selke öffentlichkeitswirksam ab. Das Ganze aber nicht in der Emotionalität eines Spiels, sondern unter der Woche im vereinseigenen Podcast. Die SGE sieht keinen Grund, diese Respektlosigkeit rauszuschneiden und veröffentlicht den Podcast.
- Während des Spiels am Freitag geht es mehrfach heiß her. Gerade Füllkrugs Spruch gegenüber Kostic war sicherlich unangebracht und darf kritisiert werden. Auch sonst war die Werderfraktion sehr emotional dabei. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das gegnerische Team das ständige laute Gebrüll nervig oder störend finden könnte, aber ganz ehrlich: Das ist Profifußball. Normalerweise wird am Wochenende vor mindestens 40.000 Fans gespielt. Da sollte man mit umgehen können, zumal ja beiden Vereinen frei steht, das Team lautstark zu supporten. Ich persönlich finde es sogar gut, wenn es in den Stadien nicht gespenstisch leise zugeht. Ich wundere mich ohnehin darüber, dass nicht mehr Teams auf lautstarken Support setzen. Heidenheim wurde für die Kuhglocke letzte Saison teilweise ja ein wenig belächelt und sogar kritisiert, aber ganz ehrlich: Wenn nicht in einem Fußballstadion lautstark das Team supportet werden darf, wo denn dann? So lange das respektvoll und nicht beleidigend abläuft, kann ich die Kritik daran kaum nachvollziehen.
Bei der berechtigten Kritik an Füllkrugs Spruch ist dabei übrigens auch festzustellen, dass auch Kostic am Trash-Talk beteiligt ist, bei der Hinteregger-Füllkrug-Szene während des Spiels beide gleichermaßen Stirn an Stirn stehen und es nach dem Spiel Hinteregger ist, der Füllkrug wegschubst (auch wenn natürlich nicht zu klären ist, ob Füllkrug eher auf Hinteregger zukam, um sich zu vertragen oder ob er weiter stichelte). In der Rudelbildung agieren die Frankfurter mMn ebenfalls aggressiver als die beteiligten Bremer und Younes bewegt sich sogar am Rand einer Tätlichkeit, als er dem Gegenspieler ins Gesicht fasst. Auch die Frankfurter These, dass Werder unfair und überhart gespielt habe, ist übrigens nicht nur subjektiv nach Ansicht des Spiels sehr gewagt, sondern lässt sich auch durch die Statistiken widerlegen. Während Frankfurt acht Mal gefoult wurde, wurden Werderspieler 14 Mal gefoult.
- Kohfeldt und Bank/Tribüne supporten das Team lautstark, aber es ist nur zu hören, wie Mannschaft und einzelne Spieler supportet und gepusht werden bzw. Kritik an einzelnen Schiedsrichterentscheidungen fällt – unter anderem an der nachweislich unberechtigten Ecke, die zum Rückstand führte. Respektlosigkeiten oder persönliche Angriffe sind nicht auszuschließen, aber zumindest nicht nachzuweisen, während Möhwald von der Frankfurter Seite offensichtlich als Arschloch beschimpft wird. Bezeichnenderweise gibt es auch nur eine Gelbe Karte für respektloses Verhalten am Spielfeldrand und die bekommt kein Bremer, sondern Hütter.
- Die Vorkommnisse aus dem Spiel hätte man damit stehen lassen und sich nach Abpfiff die Hand geben können. Fußball ist ein emotionaler Sport und man muss nicht im Nachhinein jede Geste oder jeden Kommentar sezieren. Da spielt Hütter aber nicht mit: Der schießt nach Abpfiff mehrfach gegen Werder und bezeichnet den Verein als niveaulos. Er kritisiert, dass sich die Werderspieler Hinteregger „herausgepickt“ hätten und findet das hochgradig unfair. Dass dieser Hinteregger durch seinen abwertenden Selke-Kommentar diese Schärfe überhaupt verursacht hatte und auch am gleichen Abend alles andere als souverän reagierte, verschwieg er.
- Auf der Pressekonferenz gibt sich Marc Hindelang, der Pressesprecher von Frankfurt schnippisch und bedankt sich sarkastisch für die „Gastfreundschaft“ in Bremen. So eine Äußerung wäre selbst von einem ausgepumpten Spieler im Post-Match-Interview unprofessionell gewesen. Aber vom Pressesprecher ist das wirklich peinlich. Interessant: Von ebendiesem Hindelang hörte man nie eine Entschuldigung über die von ihm verantwortete Podcastfolge mit Hinteregger, obwohl er selbst an diesem Podcast beteiligt ist.
- Freitag und Samstag ist es jeweils die Bremer Seite, die in Person von Baumann den ersten Schritt auf Frankfurt zu macht und die Aussprache mit Bobic und Hütter sucht. Werder ist darum bemüht, den Streit beizulegen und Differenzen im internen Dialog auf Augenhöhe zu klären, statt medial als Schlammschlacht auszutragen. Hütter ist es egal und er nutzt die Bühne von Sky, um zwei Tage nach dem Spiel (!) noch einmal kräftig nachzutreten und wieder auf Werder einzuhauen. Dabei pickt er sich Mitglieder des Funktionsstabs raus und fordert wenig subtil deren Entlassung. Wohlgemerkt: Er macht das, obwohl er weiß, dass von Frankfurter Seite direkte Beleidigungen u.a. gegenüber Möhwald fielen. Die SGE-Urheber dieser Beleidigungen wurden übrigens nicht entlassen.
Interessant ist ebenfalls, dass genau die Frankfurter Eintracht, die jedes vermeintliche Fehlverhalten eines anderen Vereins auf die Goldwaage legt und verurteilt, jegliche Empathie vermissen lassen hat, als man wohlwollend zusah, wie Hinteregger Augsburg durch anhaltend respektloses und vereinsschädigendes Verhalten erpresste, ihn gen Frankfurt ziehen zu lassen. Keine SGE-Empathie gab es auch mit Florenz, als man die durch fragwürdige Tauschabrechnungen im Silva-Rebic-Deal um eine Weiterverkaufsbeteiligung prellte. Für Hütter scheint Respekt leider eine Einbahnstraße zu sein.
Ohnehin wäre es mir am liebsten gewesen, wenn sich Hütter und Kohfeldt nach dem Spiel die Hand gegeben und sich vertraulich ausgesprochen hätten und man jetzt die Sache ruhen lassen würde. Aus meiner Sicht kann keine der beiden Seiten ein Interesse an einer Dauerfehde haben. Da Frankfurt das Thema aber sowohl Freitag aufmachte und Sonntag entgegen dem Baumann-Wunsch nach Aussprache, erneut befeuerte, finde ich es sehr wichtig und gut, wie Kohfeldt und Baumann fair, aber trotzdem klar und eindeutig Haltung gezeigt haben. Insgesamt war das mMn alles eine richtig peinliche Vorstellung von Eintracht Frankfurt. Gerade da sie so eine gute Saison spielen, hätte ich mir gewünscht, dass sie sich als bessere Verlierer präsentieren würden.