Zitat von
Fußballgott2016
Ich will hier in diesem Thread auch mal meine Meinung zur kommenden Saison kundtun, jetzt da am Samstag ja der Saisonstart ansteht.
Anfangen will ich dabei mit der Trainerwahl, die mich null abholt, aus verschiedenen Gründen. Anfangs Spielweise an sich finde ich top, die Gedanken dahinter kann ich nachvollziehen und bei Kiel war das definitiv ein absolut ansehnlicher Fußball. Nur kommen wir eben jetzt schon zum mit Abstand größten Problem: Das, was Anfang hier spielen lassen will, ist sowohl für die Mannschaft als kollektiv als auch für die Einzelspieler individuell extrem anspruchsvoll. Wenn man sich dann anschaut, was Werder in den letzten 18 Monaten unter Kohfeldt so gespielt hat, fällt auf, dass das extrem wenig anspruchsvoll war. Nicht nur die Spielidee an sich, auch das präferierte System, die Spielerprofile auf den einzelnen Position und der Anspruch, den Anfang jetzt stellt, ist im Gesamten eine 180 Grad Kehrtwende zu all dem, was Werder in den letzten Jahren gemacht hat. Und da kommen wir dann eben auch zu den großen Folgen, die nicht weniger problematisch sind als das Problem selbst, jetzt stehen wir drei Tage vor dem Saisonstart da, haben keinen Flügelspieler im Kader, obwohl Anfang und sein Team diese Positionen als Schlüsselposition ihrer Spielidee bezeichnen, wir haben keinen passenden Sechser im Kader, nur einen, eigentlich unpassenden, AV, der auch noch auf der falschen Seite spielen muss etc. Die Arbeitsbedingungen sind daher für einen Trainer wie Anfang, der seine Spielidee als gegeben ansieht, extrem problematisch. Je aktiver eine Mannschaft sein will, desto abhängiger ist sie davon, dass es klare Abläufe gibt, die einstudiert sind und die jeder Spieler ohne Probleme immer wieder abrufen kann, ohne darüber nachzudenken. Das wird in der Hinrunde für Werder kaum möglich sein. Was man in den letzten Jahren, sowohl bei Köln als auch bei Darmstadt immer wieder beobachten konnte, lässt daraus ein sehr großes Problem werden: Die Spielidee von Anfang funktioniert richtig gut, wenn alles zusammenpasst. Fehlt aber nur ein Puzzlestück, wird das Ganze schon sehr schwierig umzusetzen. Bei Köln musste er irgendwann widerwillig auf ne Dreierkette und Doppelsturm umstellen, weil der Kader das eher hergab und der fehlende Sechser den Kölner extrem viel Stabilität gekostet hat. Bei Darmstadt ist er am Ende komplett daran gescheitert, sein System zu etablieren, auch dort sollte er eine Trendwende von Grammozis Antifußball einleiten, am Ende war man aber ewig im Abstiegskampf gefangen und defensiv extrem anfällig, weil das System nicht ausbalanciert war. Auch hier stellte sich der Erfolg erst ein, als er von seiner aktiven Herangehensweise abrückte und auf ein sehr reaktives System umstellte und sich die Mannschaft daraufhin in einen Rausch spielte. Menschlich ist Anfang ohnehin nicht einfach, schlussendlich haben sein Team und er sich in Köln so mit der Mannschaft verstritten, dass die Mannschaft eine Entlassung gefordert hatte.
An sich hört sich ne Trendwende zu den letzten beiden Jahren ganz nett an, aber Werder versucht hier, schon wieder, mehrere Entwicklungsschritte zu überspringen. Guter Fußball lässt sich nicht erzwingen oder nur durch einen Trainerwechsel auf magische Art und Weise herbeiführen, um zu gutem Fußball zu kommen, muss ein Verein und eine Mannschaft eine Entwicklung durchlaufen. Entwicklung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht (und erst recht nicht bei Werder aktuell), dass man dann einfach das System so durchzieht, wie der Trainer es will und dann darauf hofft, dass die Spieler in ihrer Entwicklung mitziehen. Eine nachhaltige Entwicklung braucht erst eine Basis, auf der dann nach und nach aufgebaut wird und immer mehr in die Richtung gelenkt wird, in die man insgesamt gehen will, diese Basis hat Werder auch nicht und man hat sich auch aktiv für einen Trainer entschieden, der bisher in seiner Karriere noch nie eine solche Basis geschaffen hat. Schöne Beispiele für eine solche Entwicklung lassen sich zu Hauf finden, hier ist aber das Beispiel Kiel am schönsten: In Liga 3 ein Fundament dafür geschaffen, irgendwie eine spielerisch starke Mannschaft zu haben, die Transferpolitik darauf ausgerichtet und dann erst eine recht einfache Basis geschaffen und sich dann mit Anfang den Trainer geholt, der auf der funktionierenden Basis dann sein System aufbauen konnte, wofür er schon die richtigen Spielertypen im Kader hatte und die Mannschaft schon Grundsätze von Dingen wie Positionsspiel und Gegenpressing drauf hatte und Anfang das dann nach seinen Wünschen verfeinern konnte. Danach kam Walter, der dann wieder einen anderen Ansatz gewählt hat, aber eben auch in eine ähnliche Kerbe schlug und so weiter. Darum ist Kiel zur Zeit so erfolgreich. Eine solche Entwicklung setzt aber voraus, dass der Verein ein Konzept hat und die Trainer danach aussucht, bei Werder ist aber immer wieder der Trainer das Konzept.
Daraus resultiert dann auch meine Kritik an der Transferpolitik. Es war von Anfang an klar, dass der Transfermarkt in diesem Jahr nur einen ganz kleinen Anteil an Käufern haben wird, die Geld in Umlauf bringen können, damit der große Teil an Verkäufern dann irgendwann auch agieren kann. Werder steht in der Kette eh weit hinten und dass die Käufer vermutlich erst später anfangen zu agieren als Werder das so recht ist, war schon vor Monaten klar. Das Problem ist aber dann, dass wenn du weißt, dass du eh erst gegen Ende August deinen Kader zusammen haben wirst, du eigentlich keinen Trainer verpflichten darfst, für dessen Spielidee, die im Juli bereits in den Grundzügen einstudiert werden wird, der Kader drastische Veränderungen braucht. Dafür hat sich Baumann aber entschieden, also muss er dann auch, um den maximalen sportlichen Erfolg zu ermöglichen, dieser Entscheidung eben auch die drastischen Veränderungen am Kader folgen lassen, das ist nicht passiert. Entweder hat er es also in der Transferpolitik verbockt oder die Trainerentscheidung hatte wenig Weitsicht, beides ist problematisch genug. Am Ende hat man sich in Sachen Kaderplanung selbst in ne schlechte Situation gebracht und badet das jetzt aus. Neuzugänge wie Jung oder Mai halte ich dabei sogar für sehr sinnvoll, Spieler wie Rapp hätte ich echt nicht gebraucht, biederer Zweitligadurchschnitt ohne weiteres Potential hätte man auch ablösefrei bekommen können.
Der Kader ist am Ende aber trotzdem auf vereinzelten Positionen im Ligavergleich extrem gut aufgestellt. Wir haben mit großem Abstand die beste Innenverteidigung der Liga, ein Luxusproblem im Tor und die vermutlich zwei besten Stürmer der Liga sowie einen an sich sehr guten Backup. Das bringt am Ende wenig, wenn der Kader nicht ausbalanciert ist und nicht zur Spielidee passt, sollte aber am Ende auf jeden Fall recht locker dafür reichen, dass wir uns über den Lauf der Saison zur Not über die individuelle Qualität von Spielern wie Lücke, Bittencourt oder Toprak vermutlich in der Spitzengruppe halten können werden.
Von den Talenten bin ich derweil auch ziemlich enttäuscht, das Worum ist mir da nach der Vorbereitung (mal wieder) deutlich zu euphorisch. Woltemades Anlagen sind brachial stark, aber ohne Arbeit an Basics wie Körperspannung und Umsetzung Kopf-Fuß wird er auch in der zweiten Liga Probleme bekommen. Dinkci ist weiter extrem inselbegabt, hat aber koordinativ teilweise noch extreme Probleme und ist spielerisch einfach nicht stark, die Position da auf rechts liegt ihm auch eher so semi gut. Bei Kebba sehe ich kein Zweitligapotential. Nankishi ist mir noch erheblich zu sehr "Kopf durch die Wand" als alles andere, das wird auf Zweitliganiveau für ihn so auch nicht mehr funktionieren. Für Jojo gibt es schlicht keinen Platz aktuell. Schmidt war zwar stark, aber hat eben auch fast nur gegen schwache Gegner gespielt.
Ich rechne damit, dass Werder irgendwo auf Platz vier oder fünf landen wird, einfach weil die direkte Konkurrenz sich einen Vorsprung erarbeitet hat und es quasi jede Saison mindestens ein oder zwei Überraschungsteams gibt, die oben reinhalten können. Die Liga ist auch extrem ausgeglichen, Werder wird in der Liga nicht wie Bayern oder RB in der Bundesliga sein, der Qualitätsunterschied zu den Abstiegskandidaten ist bei weitem nicht so drastisch.
Irgendwo habe ich letztens hier gelesen, dass ein Verpassen den Aufstiegs kein Beinbruch wäre, aber da muss ich deutlich widersprechen: Der Vorteil, den Werder im Moment hat, ist der größere Etat und die Tatsache, dass wir Spieler wie Friedl, Rashica oder Ludde haben, die wir verkaufen können. Finanziell ist Werder eh schon in Schieflage, jedes Jahr zweite Liga verschlimmert das und senkt gleichzeitig die zu erwartenden Transfererlöse für unsere Verkaufskandidaten, der Etat gleicht sich mit jedem Jahr mehr an und der Abstand schmilzt dahin. Wir sind auch nicht der HSV, der von der Stadt oder von Kühne irgendwie Geld in den Arsch geblasen bekommt, ein längerer Aufenthalt in Liga 2 wäre sehr problematisch.
Ich werde mir das Ganze auch nicht schönreden, von wegen die zweite Liga sei so attraktiv wie noch nie, am Ende ist der Abstieg für mich weiter eine herbe Enttäuschung und die Freude auf die Saison hält sich bei mir weiter in Grenzen. Ich hoffe einfach darauf, dass Werder sich wieder fängt und ich am Wochenende wenigstens wieder akzeptablen Fußball sehen kann und auch ein paar gute Ergebnisse dabei rumspringen. Hoffentlich reicht das dann für den Aufstieg, was Anderes wäre am Ende für mich trotz der aktuellen Situation ne herbe Enttäuschung, Werder in der zweiten Liga fühlt sich für mich nicht richtig an. Die Chance besteht trotz allem was in den letzten Jahren schief gelaufen ist und ich hoffe einfach weiter darauf, dass Werder diese Chance nutzen kann.