Impfen: Strategien, Gegner und Diskussionen

[Lombok]

Kapazitäten werden zeitnah deutlich hochgefahren werden. Biontech ist seit Oktober in Marburg in einer bestehenden Anlage von Novartis am Validieren gewesen (das war mir bekannt: daher einige Aussagen von mir in letzter Zeit) und hat jetzt grünes Licht vom RP bekommen. Gute Nachrichten.

Die Übernahme des Werks ist doch schon im September öffentlich gemacht worden und dafür hat Biontech ja auch eine Förderung des Bundes bekommen. Oder ist das noch ein anderes Werk?

Klar ist die Nutzung (nicht Übernahme) seit September bekannt, steht ja auch in dem verlinkten Artikel. Ich habe lediglich in den letzten Wochen sanft darauf hingewiesen, dass die von verschiedenen Politikern und Medien zum Skandal hochgeredete Impfstoffknappheit zum jetzigen Zeitpunkt erwartbar ist aufgrund der rechtlichen Vorgaben für das Betreiben einer solchen Anlage. Die Prozessvalidierung in einer pharmazeutischen Anlage nach GMP, sowohl nach EU- als auch nach FDA-Regualirien ist enorm aufwendig und wenn die SPD, die gerade noch erhebliche bürokratische Hürden für Medizinproduktehersteller mitgetragen hat, um sich dann darüber zu wundern, dass das alles etwas länger dauert, ist schon erstaunlich.
Hier werden in Rekordzeit mehrere Impfstoffe entwickelt, davon zwei mit einer absolut neuen Technologie, und die Dinger werden regulär unter Beachtung aller Sicherheitsstandards, auch noch produziert. Das ist eine grandiose Leistung und wurde im April praktisch für unmöglich gehalten. Und jetzt kommen die ganzen Aasgeier aus ihren Löchern und wollen aus egoistischen Motiven Gold zu Scheisse machen. Noch schlimmer: Sie machen den Leuten Angst.
Im Sommer sind wir geimpft.

In den Meldungen vom September ist schon von einer Übernahme und Veräußerung des Werkes selbst von Novartis an Biontech die Rede. Aber das unterstreicht ja noch stärker das, was Du schreibst und ich auch schon mal zu Biontech angemerket habe: So ein Werksverkauf mit 300 Mitarbeitern verhandelt man auch nicht an einem Nachmittag. Man hat also schon früh im Sommer (als die Studien gerade mal angefangen hatten) und gefördert durch den Bund damit begonnen, die Produkutionskapazitäten zu erweitern. Nur geht das einfach nicht von heute auf morgen.

[Gunther]

Jo, was aber eben auch möglich war, weil einige Länder schon zu diesem frühen Zeitpunkt bedingungslos und verbindlich eingekauft haben. Leider war die EU nicht dabei.

Das hat zB Lauterbauch gerade vor ein paar Tagen nochmal ganz klar so geäußert und unterstrichen, dass man da zu zögerlich war und deswegen weniger vorproduziert werden konnte.

Das muss man übrigens getrennt davon sehen, dass die Impfstoffentwicklung unfassbar grandios abgelaufen ist, der gemeinsame Einkauf der EU eine gute Sache ist, am Ende genug eingekauft wird usw.

Der Ablauf des Einkaufs ansich war nicht ideal.
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

[Salbei]

Selbstverständlich sind die arzneimittelrechtlichen Anforderungen erheblich und auch zeitaufwendig umzusetzen. Nichtsdestotrotz hätte die Inbetriebnahme früher vorbereitet und erfolgen können. Und warum wird erst jetzt bei Baxter eine weitere Produktion hochgezogen?

[Teq]

Gibt es eigentlich schon Erkenntnisse darüber, ob die Impfung gegen den allseits beliebten Basiserreger, welche ja nun in allen Varianten zumindest die schweren Verläufe verbinden würde, eben diese schweren Verläufe auch bei den Mutationen verhindert?

Bis jetzt gibt es nur eine in vitro-Studie, die zeigt, dass die durch die Impfung gebildeten Antikörper auch an das Spike-Protein der neuen Mutationen binden. Ich denke man wird am ehesten bald in UK sehen, ob die dort bereits geimpften Personen auch vor der neuen Variante geschützt sind.

[Erfolxfan]

Jo, was aber eben auch möglich war, weil einige Länder schon zu diesem frühen Zeitpunkt bedingungslos und verbindlich eingekauft haben. Leider war die EU nicht dabei.

Hmm, ich schlag' ja auch gerne auf die EU ein, wenn's angebracht ist - aber die Strategie fand ich bis in den Herbst sehr plausibel. Risikostreuung auf mehrere Wirkstoffe, von allen ausreichend geordert, um zumindest die Risikopatienten problemlos wegimpfen zu können. Was ich ihnen zum Vorwurf mache, sind die Aktionen im November. Als klar war, dass die Studie von Biontech gut läuft (und das Versagen von Sanofi hätte man im Rolling Review auch absehen können, sind aber wahrscheinlich geschützte Informationen), hätte man dort noch mal zuschlagen müssen. Gab verschiedene Bedenken (zu teuer, neues Verfahren, zu deutsch), aber dann hätte die Bundesregierung die Trottel in Italien mit ihrem "Impfnationalismus"-Vorwurf ignorieren sollen und auf eigene Faust nachordern. Hätten ja alle die Chance gehabt. Biontech hatte klar gemacht - wer zuerst ordert und die besten Konditionen zahlt, bekommt Priorität. Jetzt ist man mit den kürzlich erfolgten Bestellungen hinten in der Schlange.

Und die EMA-Zulassung ist auch erklärungsbedürftig. Eine oder mehrere nationale Genehmigungsbehörden sind wohl nicht in die Puschen gekommen und haben den Prozess verzögert. Erst als Deutschland dann Druck machte, weil ein "deutscher" Impfstoff überall sonst schon genutzt wurde, drückte man auf die Tube und zog den Freigabe-Termin eine Woche vor (keine Ahnung, ob die wirklich alle ursprünglich noch Weihnachten feiern wollten). Wäre das Paul-Ehrlich-Institut allein verantwortlich gewesen, wäre der öffentliche Druck wesentlich stärker gewesen (und der Koordinierungsaufwand mit den Partnern deutlich geringer) - und das hätte bestimmt noch mal eine Woche gebracht.

[Gunther]

Ja, das dann mit Pfizer zu spät und kleinlich verhandelt wurde kommt noch hinzu. Bin prinzipell dabei, der Pharma nicht alles recht zu machen, aber das war kein guter Zeitpunkt.

Aber wenn ich lese, dass es ca 10 Mrd gekostet hätte sich von allen aussichtsreichen Kandidaten genug für alle EU Bürger zu sichern (und das auch dazu geführt hätte, dass früher mehr hätte produziert werden können), dann frage ich mich schon, warum man das nicht getan hat. Angeblich lag es ja tatsächlich daran, dass man sich nicht vorwerfen lassen wollte, Geld verschwendet zu haben, weil man am Ende dann sehr wahrscheinlich viel zu viel gehabt hätte.

Aber ich bin da vielleicht auch etwas empfindlich, da ich Gesundheitswesen tätig bin und daher ständig mit dem Leid durch Corona konfrontiert bin. Die Enttäuschung hier in Berlin, dass es dermaßen schleppend losging, war für viele ein großer Motivationskiller.

[Gunther]

Erste Ergebnisse aus Israel lassen sich übrigens vorsichtig in die Richtung interpretieren, dass die Biontech Impfung auch gegen Ansteckung schützt.

[Wümme Wiese]

Das wäre top! Ich kann die Frustration verstehen, dass es nicht schneller geht. Allerdings kommt es mir so vor als wenn ein neuer 100m Sprintweltrekord aufgestellt würde und die Leute dann meckern, dass nicht noch schneller gelaufen wurde. Und: 95% des Impfstoffs gehen an 10 (!) Länder. Je mehr wir hier horten und hamstern, desto weniger kommt überall sonst an.

[Daniel FR]

Das wäre top! Ich kann die Frustration verstehen, dass es nicht schneller geht. Allerdings kommt es mir so vor als wenn ein neuer 100m Sprintweltrekord aufgestellt würde und die Leute dann meckern, dass nicht noch schneller gelaufen wurde. Und: 95% des Impfstoffs gehen an 10 (!) Länder. Je mehr wir hier horten und hamstern, desto weniger kommt überall sonst an.

95 % insgesamt oder von Biontech? Welche 10 Länder sind das ? Woher hast du die Info?

[Wümme Wiese]

Klick

[Daniel FR]

Da steht aber, dass 95 % der bisher Geimpften in 10 Ländern geimpft wurden.

[Wümme Wiese]

Da hast Du recht.

[Erfolxfan]

Aber wenn ich lese, dass es ca 10 Mrd gekostet hätte sich von allen aussichtsreichen Kandidaten genug für alle EU Bürger zu sichern (und das auch dazu geführt hätte, dass früher mehr hätte produziert werden können), dann frage ich mich schon, warum man das nicht getan hat. Angeblich lag es ja tatsächlich daran, dass man sich nicht vorwerfen lassen wollte, Geld verschwendet zu haben, weil man am Ende dann sehr wahrscheinlich viel zu viel gehabt hätte.
.

Das ist doch, was sie gemacht haben? Je 300 Mio von AstraZeneca, Sanofi, Biontech im ersten Rutsch. 225 Mio Dosen von Curevac und 200 Mio von JnJ. Vielleicht hätte man von Moderna mehr ordern können oder sollen. Aber grundsätzlich hast Du doch erst mal genug für 400 Mio Bürger zu einem Zeitpunkt, zu dem keiner wußte, wer das Rennen macht (wenn überhaupt jemand). Mit der Vorgehensweise bis zum Zeitpunkt der ersten Studienergebnisse kann ich gut leben, auch im nachhinein.

[Wümme Wiese]

Zumal Spahn letztens sagte, dass man bei einer größeren Bestellung jetzt auch (noch) nicht mehr geliefert bekommen würde.

[Salbei]

Ja das sagt Spahn. Kann stimmen. Muss aber nicht.