Zitat von
the_view
(...) Es ist halt seine Art mit der Situation umzugehen. Dafür muss man auch irgendwo Verständnis haben.
Nein. Muss man nicht. Im Gegenteil. Leute wie @Will_Helm sind ein grundlegenderes Problem als irgendein Virus mit hoher Infektionsrate. So eine Pandemie geht nämlich irgendwann vorbei, ob mit 1000 Toten, 10.000 Toten, 100.000 Toten oder ein paar Millionen. Das ist bitter, und das Leid, das passiert muss von uns allen erstmal verarbeitet werden (neben dem Tod auch in der Form von ganzen Existenzgrundlagen, die manch einem entzogen werden). Das kann und wird Jahre brauchen, aber - wie gesagt - das geht vorbei. Leute aber, die in Zeiten wie einer Pandemie ihre eigenen wirren Gedanken als kritisches Denken deklarieren und "Mainstream-Medien" ganz grundsätzlich einfach mal Dummheit, böse Absicht oder Hysterie unterstellen, machen die Gesamtsituation nicht einfach nur ein wenig schlimmer, sondern haben das Potential, das Leid einer Gesellschaft auf eine ganz andere Stufe zu heben. Gegebenenfalls von besagten 10k Toten auf jene besagten Millionen.
Damit wir uns richtig verstehen: Auch ich bin der Meinung, dass Hysterie nicht hilft und halte die Auswirkungen der Lautsprecher, Schwarzmaler und Hamsterkäufer für ebenfalls gefährlich. Aber beides, die Panikmacher mit ihren einfachen Antworten ("Grenzen zu! Alle Chinesen ausweisen!") sind nur die andere Seite der Medaille und an Gefährlichkeit mit den Verharmlosern und Influenza-Vergleichern identisch. Was nämlich identisch ist, ist der diesen Leuten allgemein innewohnende Glauben, etwas besser zu wissen als die Experten.
Experten sind schon ganz grundsätzlich schlimme Leute, die alle anderen an der Nase herumführen wollen. Die bösen Medien, die sich in ihrer Berichterstattung auf Fakten berufen, werden als grundsätzlich manipulativ beschimpft und es wird ihnen böse Absicht unterstellt. Wahr ist nur, was für solche Menschen "gefühlt" wahr ist, ganz unabhängig von Fakten. Und wenn eine Statistik zeigt, dass Ausländer nicht grundsätzlich krimineller sind als Deutsche, und das entspricht nicht der eigenen, gefühlten Wahrheit, dann ist das eben gelogen. Wenn ein Biologe sagt, die Evolution habe dieses oder jenes hervorgebracht, und das entspricht nicht der eigenen, gefühlten Wahrheit, dann ist das eben eine Verschwörung. Und wenn Ärzte vor überfüllten Krankenhäusern bei einer nicht-abgeflachten Kurve bei einer Pandemie reden, und das entspricht nicht den werten Gefühlen eines Willhelms, dann ist das eben Panikmache.
Damit wir uns auch hier richtig verstehen: Auch ich bin der Meinung, dass man "die Medien" kritisch hinterfragen muss und weiss sehr wohl, dass auch Journalisten nicht rein objektiv Berichten. Auch ich weiß, dass man Statistiken und Umfragen nicht einfach gedankenlos hinnehmen sollte. Und auch, dass nicht alles, was ein Experte ist, grundsätzlich objektive "Wahrheiten" sprechen muss. Aber es ist ein Unterschied, ob man etwas tatsächlich kritisch hinterfragt und mehrere Quellen nutzt, soweit man das kann, oder ob man einfach grundsätzlich alles, was Mainstream ist, als falsch definiert, seine eigene gefühlte Wahrheit als Wahrheit verkauft und alles, was dem widerspricht, als dumm oder böse bezeichnet. Oder eben als hysterisch. Denn nur weil der Satz "Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast" so schick griffig ist und knackig zum Selberdenken auffordert, ist der Umkehrschluss - nämlich: jede Statistik, die mir nicht gefällt, ist grundsätzlich gefälscht - das genaue Gegenteil von selbständigem Denken.
Denn es ist eben nicht hysterisch, was passiert. Weder in der Berichterstattung noch in den Maßnahmen, die momentan uns alle betreffen. Es nutzt nichts, schreiend durch die Stadt zu laufen oder idiotische Facebook-Kettenbriefe mit "geheimen Informationen" (dass wir alle Sterben werden, die Regierung weiß das ( mit drei Ausrufezeichen!!!) ) zu teilen, aber es eben auch nicht richtig, alles zu verharmlosen und Einkaufswagenvorschriften als unnötig zu deklarieren. Ein gesunder, informierter und ruhiger Umgang mit einer Situation wie dieser ist richtig, und sowohl Politik als auch die Medien leben dies momentan vor. Sowohl Hysterie als auch Verharmlosung aber kosten Menschenleben.
Und DESWEGEN muss man eben Leuten, die in Fußballforen von einer Medienhysterie schreiben auch deutlich widersprechen und nicht für sie auch noch "Verständnis haben". Gefühlte Wahrheiten sind die Grundlage für antidemokratische Denkweisen. Sie sind ein größeres Problem als der Virus selbst und führen zu AfD, Trump, Brexit. Im Falle einer Pandemie führen sie zu höheren Ansteckungsraten und ggf. zu überfüllten Krankenhäusern. "Kritisches Denken" sollte wieder "kritisches Denken" bedeuten und nicht als intellektuelles Versteck dienen dürfen, um einfach gar nicht mehr zu denken, alle Experten und Medien und Statistiken ignorieren zu dürfen um dem Wissen der Anderen nur das eigene, unreflektierte Fühlen entgegensetzen zu müssen und das dann auch noch - mit vielen Ausrufezeichen und also lautstark - Kritik zu nennen. Leuten wie diesem Helm muss und sollte durchaus deutlich widersprochen werden.