Habe mir die 90 Minuten angeschaut. Die Ausgangslage ist, dass eine Frau wegen Doppelmordes an ihren Schwiegereltern im Gefängnis sitzt. Es gibt keine Beweismittel, dass Sie die Täterin ist, sie wurde alleine aufgrund von Indizien verurteilt. Einen genauen Todeszeitpunkt gibt es laut dem gerichtsmedizinischen Urteils nicht, aber sich widersprechende Zeugenaussagen. Stefan Harbort will sich im Auftrag der verurteilten Täterin diese Indizien noch einmal anschauen. Die Qualifikation dazu hat er als Kriminalist/Profiler auf jeden Fall und er wirkt vor der Kamera auch unvoreingenommen (anders als z.B. die Anwältin von Steven Avery in der 2. Staffel Making a Murderer) und die produzierenden Sender SWR und NDR lassen diese Doku jetzt auch nicht reißerisch wirken.
Habort gelingt es augenscheinlich Zweifel an jedem Indiz anubringen, das reicht in Deutschland aber nicht um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken, dazu müsste es schon einen Beweis der Unschuld geben wie ein Alibi.
Der gefundene Schlüssel ist ein Mysterium, vermutlich abgelegt, so dass er gefunden wird. So wirklich klar, ob das der Schlüssel des Sohnes und der verurteilten Täterin ist, wird man anhand der Doku auch nicht, bzw. man versteht es so, aber niemand sagt, wie er dahin gekommen sein soll. Der Punkt wirkte sowohl für die Ermittlung als auch in der Doku als das größte Mysterium.
Die größte Enttäuschung ist, dass niemand von den Ermittlern oder der Staatsanwaltschaft bereit war vor der Kamera sich zu äußern. Die beiden Argumente wirken, wie in der Doku selber vorgetragen sehr schwach, da der hinterbliebende Sohn Habort ja selber beauftragt hat und ihm die Akten gegeben hat und so keinen Schutz braucht und die Polizei anderen Medien auch Interviews gegeben hat.
Auch der Belastungszeuge wollte weder vor der Kamera noch unter vier Augen mit Harbort sprechen. Kritik hat die Polizei von Habort selber, als auch vom Ehemann der Haushälterin der Opfer, der Polizist a.D. ist bekommen, einen Fahndungsflyer mit Belohnung, Fahrzeugtyp und vollem Kennzeichen veröffentlicht zu haben. Ich weiß nicht, ob das sonst anders läuft, aber es liefert jemanden, der 10.000 EUR gebrauchen kann natürlich alle Infos.
Ob die Täterin suizidal ist, kann niemand sagen. Die Ermittler sind in der Vernehmung nicht darauf eingegangen (und wohl auch keine Experten) und die Psychologin, die sich den Fall angeschaut hat, kann es nicht beurteilen, will es aber nicht anzweifeln - wieso es nicht möglich war, dass die sich mit der vermeintlichen Täterin im Gefängnis getroffen hat um da etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, lässt mich fragend zurück - aber ein Beweis für die Unschuld wäre es auch nicht gewesen.
Am Ende ist man so schlau wie vorher, mag der verurteilten Täterin aber mehr glauben als zu Beginn. Juristisch bringt ihr das nicht. Das Format an sich finde ich gut, aber die Verweigerung von Polizei und Staatsanwaltschaft lässt sich arg dünn häutig erscheinen. Wäre das eine Reihe und das wäre immer so, dann wäre es insgesamt wenig erhellend. Bei Fällen, die mit klaren Beweisen aufgeklärt wurden, hat die Polizei nie ein Problem das vor der Kamera im Fernsehen zu dokumentieren.