Das ist zugegebenermaßen provokant formuliert und selbstverständlich möchte ich dir deine Meinung zum Thema nicht nehmen. Ich kann sie nicht nachvollziehen, habe Gegenrede eingelegt und akzeptiere deinen Standpunkt selbstredend dennoch. Können wir uns darauf einigen?
Man kann "jahrelange Schmerzbehandlung" auch mit "Suizidberatung" ersetzen?
Der Unterschied zwischen einem formalen und einem materiellen Kriterium ist halt gerade der Kern des Urteils des Bundesverfassungsgerichts; der Staat darf die Sterbehilfe nur anhand formaler Kriterien regulieren. "Suizidberatung" ist ein formales Kriterium (jedem Sterbewilligen könnte auferlegt werden, dass er ein Beratungsgespräch führt und danach zwei Wochen Wartezeit hat, bevor ihm die Sterbehilfe gewährt werden darf), während "jahrelange Schmerzbehandlung" ein materielles Kriterium ist. Vielleicht ist mir aber auch nicht klar, was Du überhaupt mit jahrelanger Schmerbehandlung meinst (ja wohl nicht ernsthaft so, dass jedem, der den ernsthaften Willen nachweisen kann sein Leben beenden zu wollen, weil er - aus welchen Grund auch immer - in einem Weiterleben keinen Sinn mehr erkennt, vor der Sterbehilfe nochmal formal auferlegt wird, sich einer jahrelangen Schmerztherapie zu unterziehen??).
Nochmal, weil ich es eine so mächtige Aussage finde: Das Bundesverfassungsgericht spricht jedem Menschen das Recht zu, selbst zu entscheiden, ob er sein Leben beenden und dafür Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Wenn dies ein ernsthafter Wunsch ist, haben weder Staat noch Gesellschaft das Recht darüber zu urteilen, ob der Wunsch nachvollziehbar ist. Und da Du den Vergleich zum Schwangerschaftsabbruch gezogen hast: Auch dort ist es innerhalb der Frist irrelevant, warum die Schwangerschaft abgebrochen wird. Die Schwangere muss ausschließlich formal nachweisen, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen.
Bei der Perspektive, die ich einbringen wollte, ja, da kann man das.
Wenn es darum geht, zu entscheiden, ob jemand gerade aus Langeweile oder Mode, wie das untersommer ironisch anklingen lässt, einen Suizid (mit gewerblicher Hilfe) durchführen will oder ob jemand sich längere Zeit (jahrelang war an der Stelle auch nur der pauschale Einwurf des "Standardopfers" der bisherigen Regelung) mit der Thematik beschäftigt, spielt mMn in der Betrachtung keine Rolle.
Genau sowas kann man auch rechtlich regeln. Wir reden hier vom maximal möglichen Eingriff in das menschliche Leben, da dürfen die Regeln auch gern einmal etwas strenger sein. Das funktioniert beim Schwangerschaftsabbruch natürlich in einer etwas anderen Weise, da in dem Fall die Uhr etwas schneller tickt, aber das Prinzip ist das Gleiche. Statt der einmaligen Pflichtberatung könnte man hier mehrere über einen etwas größeren Zeitraum verpflichtend machen, abhängig davon, wie der Kandidat bewertet wird. Jemand mit jahrelanger Schmerztherapie/Historie bei der Suizidberatung bekommt dann eben geringere "Auflagen" als jemand ohne.
Es darf natürlich nicht dahingehend ausarten, dass jemand, der nicht in Behandlung irgendeiner Krankheit wegen ist, dann Beratungstermin auf Beratungstermin auferlegt bekommt, um seinen Wunsch auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben, das ist klar.
Machen wir es mal anhand eines unausgegorenen Beispiels deutlich, worauf ich hinaus will:
Wir richten ein Punktesystem ein, in dem jemand mit sagen wir Krebs mit zwingend stationärer Behandlung schonmal 50 Punkte bekommt. Jemand, der wiederholt (und mit einem gesetzlich festgelegten zeitlichen Mindestabstand) zur Suizidberatung geht, bekommt auch 50 Punkte. Nötig für den gewerblich assistierten Suizid sind 100 und um die zu erreichen, sind wieder Beratungen (mit einem gesetzlich festgelegten zeitlichen Mindestabstand) nötig, die jeweils 10 Punkte einbringen.
Die Hürden sind also hoch, für bereits belastete Kandidaten aber deutlich niedriger.
Also unausgegoren oder nicht - das klingt ziemlich widerlich. Allein ob des Punktesammelns wegen.
@marble
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Na denn wollen wir nicht so sein.
Da wird es sicherlich findige Lösungen geben. So wie es heute Doc Hollidays gibt, wird es zukünftig sicher auch Doc Stairways geben.
Dann mach Minuspunkte draus.
Die Punktevariante habe ich gewählt, weil das Beispiel dadurch deutlich nachvollziehbar wird. Man kann das natürlich auch durch eine andere Regulierung ersetzen, wenn in Deinen Augen Suizid ok ist, es bei einem Punktesystem dafür aber widerlich wird...
Der Staat wertet darin ja auch nicht ausschließend, niemandem ist der Weg verstellt, er wird nur etwas aufwendiger, ich sehe nicht, inwiefern das dem Richterspruch widerspräche.
fruchtoase, manchmal finde ich ja ganz vernünftig, was du hier so von dir gibst, aber deine Argumentation zum Thema Suizid ist protofaschistisch. Und wenn jemand aus Mode oder aus Langeweile sterben will: Das ist, verdammt nochmal sein/ihr/divs gutes Recht! Auf den Punkt gebracht: Was geht dich das an, wenn ich sterben will?
{Meta Male}
„Der Mensch braucht wenig und auch das nicht lange.“ - Edward Young (1683-1765)
„Das Wort verwundet leichter, als es heilt.“ -J. W. v. Goethe (1749-1832)
Sowie der Staat eine irgendwie geartete Vergleichbarkeit herstellt, stellt er immer auch eine Bewertung her. Da das BVerfG sagt, Bewertung ist böse, wird es da m.E. schwierig.
"Der eine darf und ich darf nicht und muss noch warten; wenn mir der Fuß abgefault ist, bekomme ich die fehlenden fünf Punkte!"
Was soll das für ein Quatsch sein?
Überdies ist dabei auch zu bedenken: Als Gesunder kann ich mich jederzeit selbst die Eisenbahnbrücke runterschubsen - habe ich nicht vor, und wenn ich es tue, war mir wahrscheinlich diesbzgl. soweit nicht mehr zu helfen -, aber um mich geht es bei der Sterbehilfe ja gerade nicht. Es geht um diejenigen, die das eben nicht mehr können, aus Gründen, aber gerne tun wollen, eben aus - m.E. zumeist wohlüberlegten - Gründen. Ich sehe nicht ein, warum diese Mitmenschen gegenüber den Gesunden schlechter gestellt werden können sollen.
Auch ohne Smilies könnte dieser Beitrag Spuren von Ironie, Sarkasmus oder Zynismus enthalten.
Die Fruchtblase findet für jede begrüßenswerte Lösung ein neues Problem. Alles wie gehabt.
Buongiorno Dio, lo sai che ci sono anch'io!
Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen: Bin ich, ist er nicht. - Ist er, bin ich nicht.
Fight like a titleholder, stand like a champion, live like a warrior - and never let'em break you down!
Das Urteil hast Du noch immer nicht gelesen, oder?
Es geht eben nicht darum, ob z.B. in den Augen von marble "Suizid ok ist". In den Augen des BVerfG ist es ein Grundrecht, sich das Leben zu nehmen und sich dabei von anderen helfen zu lassen. Und selbst zu bestimmen, in welcher Form man sein Leben beendet.
Und noch mal zu dem von Dir erdachten Punktesyste. Mal abgesehen davon, dass ich nicht wirklich verstehe, wie das mit Deiner ursprünglichen Aussage ("Einfach strenge rechtliche Rahmenbedingungen drumherumzimmern und fertig. Ich sehe da das Problem gar nicht. Erwartet hier ernsthaft jemand, dass man das Zeug bewilligt bekommt, wenn man nicht nachgewiesen seit Jahren in Schmerzbehandlung oder so ist?") zusammmenpasst. Hierzu noch ein Zitat aus dem Urteil:
Bei der Beurteilung, ob ein ernsthafter Sterbewille vorliegt, können solche Kriterien also eine Rolle spielen. Ein Punktesystem wie Du es beschreibst, ist aber offensichtlich nicht mit den Vorgaben des BVerfG vereinbar. Die Möglichkeit zur Sterbehilfe muss auch faktisch gewährt werden. Wieviele Beratungen soll derjenige ohne Schmerztherapie (oder sonst mit null Punkten startet, weil er keinen Sterbegrund hat, der in der Dienstanweisung abgehakt werden kann) denn machen, in denen er immer wieder seinen Sterbewunsch bekräftigen muss, bis der diensthabende Beamte dann mal die 100 Punkte genehmigt?Zitat von Bundesverfassungsgericht
Du gehst übrigens bei der ganzen Betrachtung schon vom falschen Ausgangspunkt aus, wenn Du z.B. schreibst: "Wir reden hier vom maximal möglichen Eingriff in das menschliche Leben, da dürfen die Regeln auch gern einmal etwas strenger sein." Es geht nicht um einen Eingriff in das Leben, das ist die falsche Perspektive. Grundrechte sind Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates. Der Grundrechtsinhaber (der Sterbewillige) möchte nicht einen Eingriff in sein Leben abwehren, sondern abwehren, dass der Staat ihm verbietet, sein Leben selbstbestimmt zu beenden.