Es ist ein Freitag Abend in den frühen 90ern. Gerade hat Vaddern eine Sperrung der A1 umgangen und wir haben (trotzdem? eben deshalb?) 5 statt 2 Stunden nach Bremen gebraucht und nun kommen wir zur 2. Halbzeit erst an. Vaddern freut sich, weil er endlich mal wieder Moin sagen kann und auch mit Moin geantwortet wird, ich bin aufgeregt, wie es nur 11jährige vor dem ersten Stadionerlebnis sein können. Der Nord-Oberrang erscheint mir gigantisch groß, meine vorher gigantisch groß wahrgenommene Fahne winzig klein. Es steht noch 0:0. Nach wahrscheinlich nur für mich denkwürdigen 90 (für mich: 45) Minuten steht es 2:1 gegen den 1. FC Köln und ich bin auf Lebenszeit verloren an diesen Club.
Aus den frühen sind die späten 90er geworden. Mittlerweile brauch ich Vaddern nicht mehr zum Herkommen, trommel die grün-weißen Kumpels zusammen, selten (und bis heute viel weniger gern) auch Freunde, die andere Farben schöner finden, und ab geht´s nach Bremen oder wohin auch immer, oft Wochenendticket, Umstiege in Bielefeld, Wunstorf und anderen Metropolen. Später dann mit Führerschein manchmal auch mit (Vadderns) Auto, die erste Dauerkarte Stehplatz Ost.
Dann Jahre Pause, fremd gegangen beim örtlichen Zweitligisten, dann die Rückkehr und sofort wieder angefixt, im beruflichen Kontext nenn ich das "Suchtgedächtnis".... stimmt wohl.... Veränderungsmotivation? Fehlanzeige!
Und warum? Warum tue ich das immer wieder? Die Frage stellte ich mir in den 90ern nach rumpeligen 0:0-Norderbys, Niederlagen gegen Wolfsburg oder Nürnberg. Diese Frage stelle ich mir heute nach Spielen so unfassbar langweilig, unfair und egal wie nur irgendwas.
Dieser Verein, dem ich neben Fantastillarden an Taschengeld und Gehalt Jahre meines jungen Lebens geopfert habe, verstand und versteht es immer wieder, mir den ganzen Scheiß, diese ganze Hingabe und das Mitfiebern völlig unplausibel zu machen...
Mein erster Stadionbesuch mit eigenem Kind: Das grausigste Fußballspiel seit der Erfindung der Duschhaube. Einfallslos, dilettantisch und langweilig: Werder. Schwalbend, reklamierend und tretend: Ingolstadt (nicht mal was schillerndes sondern INGOLSTADT). Und in der Nachspielzeit ein unfassbar dämlicher Elfmeter! 0:1... väterlich-motivierend der Tochter und dem Neffen das Spiel schöngequatscht, an der Ampel den halbgaren Witz gerissen "hey, gute Sache, wir müssen nächstes Jahr nicht gegen Leipzig spielen!", keine Lacher.... auch bei mir nicht....
Jetzt aber: nächstes Spiel mit Kind:........ ein 2:2 gegen Darmstadt bei gefühlten Minus 20 Grad (wenigstens das bleibt konstant).... gegen DARMSTADT, Mann ey, Werder, ist das der Dank für Jahrzehnte?
ABER jetzt wirklich: 2. Kind, neuer Versuch..... 0:0 gegen Freiburg........ jeden Regisseur würde man feuern dafür!
Und zwischendurch mitfiebern am Sofa... Handy sendet Nebelhorn... Kinder und Papa eskalieren.... am Ende noch versaut, ich weiß nicht mal mehr den Gegner. Auf dem Sofa Pokal in Leverkusen, tolles Spiel, Fazit: Immerhin ne tolle Mannschaft, toll gespielt, blablabla, scheiße wir sind raus!
Und trotzdem hör ich nicht auf... warum nur? warum bin ich so blöd? Ich könnte unfassbar gute Bücher lesen in der Zeit, mich fortbilden, entspannt im Garten liegen, Freunde ohne Anspannung und Ruhepuls 120 treffen. Es kostet ein Vermögen! Es ist oft kalt! Ich bin danach tagelang heiser! Ich ärgere mich noch Jahrzehnte (!) über dämliche Schiris und vergebene Chancen! Also: Warum?? Jeden Fitnessclub (wäre gesünder), jeden Büchereiausweis (wäre schlauer), jedes Haus (wäre zeitstabiler) würde ich kündigen, wegschmeißen, ausziehen, wenn ich soviel Schrott mitmachen würde darin und dabei! Und Werder? Werder darf! Werder darf????? Warum????
Und dann kommt ein einziger Abend im Stadion wie Dienstag.... und alles ist wieder plausibel und alles ist wieder da.... LYONNORDDERBYMARATHONPOKAL99DOMSHOF2004SCHALKE99AN DERLECHTLEVERKUSENMITTOCHTERTOBECONTINUED
Darum!
Lebenslang Grün-Weiß!