Zitat von
garrincha
Quasi-Coup ist halt die geile Ausrede, um von den kriminellen Verfehlungen abzulenken. Ich weiß, dass Politik nirgendwo sauber ist, und in Brasilien schon gar nicht und noch nie. Aber ich hatte über Jahre die interessante Aufgabe, tausende von Seiten von polizeilichen Vernehmungen, abgehörten Telefonaten, Kronzeugendeals etc zu übersetzen. Was da zum Vorschein kam, ist abenteuerlich. Das meine ich zutiefst unironisch.
Der Faschist hätte wahrscheinlich relativ leicht verhindert werden können: Niemand zwang die PT, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Niemand, nur das eigene Ego und fehlende Demut. Allen Wahlumfragen zufolge hätte Ciro Gomes (der Kandidat einer anderen Partei) die Stichwahl gegen Bolsonaro gewonnen.
Viele Brasilianer haben einfach die Schnauze voll nach 16 Jahren PT. Und da schien ihnen Bolsonaro als das geringere Übel.
Es tut mir leid, aber das nicht zu sehen, ist ignorant. Und genau wegen dieser Verblendung und moralischen Überlegenheit der eigenen politischen Position hat uns auch Trump überrascht.
Ich hänge weder an Lula noch an Dilma und ja, da ist eine/r korrupter als der/die nächste. Die angebliche Moral von der Geschichte, dass doch nur die Linke keinen Kandidaten hätte stellen sollen oder doch bitte auf Geheiss reaktionärer Tendenzen ihre inhaltliche Linie verändern soll, um uns die Faschos zu ersparen, ist die typische liberale Mär, wie man sie nach jedem reaktionären Etappensieg aufgetischt bekommt - und die dennoch kein bisschen wahrer wird.
Trump kam vielleicht vom Zeitpunkt (und der Person) überraschend, nicht aber konzeptionell. Die Gemengelage aus spätkapitalistischer Korruption inklusive immer heftigerer Abstürze, liberaler (im Sinne von "netten Kapitalisten") Kompromissbereitschaft, die auf neoliberale Austerität und Entfremdung hinausläuft, ausbeuterischem Verhalten im In- und Ausland und Massenmedien führt früher oder später zu solchen populären protofaschistischen Figuren, die ihrerseits nur dem offenen Faschismus den Weg bereiten.
Was uns Trump und Konsorten beschert hat ist unsere Lebensweise, oft "System" genannt. Diese Entwicklungen sind keine Unfälle, sondern Folgen der Rahmenparameter - vielleicht keine unweigerlichen (die Sozialdemokratie zB hat lange Zeit gerade genug Entlastung besorgt, damit die Massen ruhig bleiben), aber auch keine unlogischen. Den Linken in all diesen Ländern, die in Jahrzehnten der erfolgreichen und konsequenten Marginalisierung und aktiven Bekämpfung innerhalb eng gestrickter und auf schier religiöse Weise unverrückbarer marktwirtschaftlicher Bedingungen die winzigen Nischen suchen müssen, in denen sie dysfunktionale Notpflaster anwenden dürfen, die kurze Zeit später anhand der Marktgesetze zu neuen Problemen werden - diesen Linken dann noch vorzuwerfen, sie hätten die Faschos auf den Plan gerufen, das ist lachhaft und nur Ausdruck des oberflächlichen liberalen Weltbilds, das nur auf Vermeidung von ungünstiger Ästhetik aus ist. Als ob die Millionen, die Faschos wählen, plötzlich weg wären, wenn man nur politisch genug taktierte, damit ihre Kandidaten nicht gewännen.
Faschismus kontextualisiert das kapitalismusgeborene Leid der Menschen so, dass "die anderen" dafür verantwortlich sind und zur "Rechenschaft" gezogen werden. Er ist die Rettungsleine des Kapitalismus, das Überdruckventil für den Unmut, der sich dann an Minderheiten und Unterrepräsentierten entladen darf. Das sind eher einleuchtende Gründe als in einem demokratischen System einer Partei vorzuwerfen, dass sie einen Kandidaten stellte.