Interessanter Artikel, dem ich nicht vollständig zustimmen mag, der aber definitiv einen nachvollziehbaren Grundgedanken verfolgt. Mir ist dieser Fatalismus in Bezug auf den Bundesligafußball zu anekdotisch, das liest sich, als würden alle unter CL-Niveau einfach nur bolzen, was dann mit Angela Merkels Spieleindrücken einer einzelnen Partie und den ligaweit geschlagenen langen Bällen als hinreichend begründet angesehen wird.
Das Pressing von Jürgen Klopp hat auch relativ wenig mit dem kopflosen Heroenfußball des späten 20. Jahrhunderts zu tun und besitzt neben der athletischen auch noch eine mannschaftstaktische Komponente, die gerade auch in Teams nach dem extremen RB-Pressingstil (Leipzig, früher Leverkusen) nicht zu unterschätzen ist. In dem "Chaos" steckt viel mehr Ordnung, als man meint. Ohne gewisse Ordnungsprinzipien lässt man bespielbare Lücken, kann seine Gegenangriffe nicht so direkt ausspielen und könnte bei all der Athletik doch kaum mithalten.
Tatsächlich gibt es jenseits von Dortmund (aktuell in 'nem Übergangsjahr), Bayern (Post-Robbery müssen die's aber auch erstmal schaffen) und Hoffenheim (cool) allerdings wirklich relativ viel ambitionslosen Einheitsbrei, der alles so ein bisschen macht. Oder halt Pressingteams wie RB. Mit denen habe ich rein sportlich allerdings kein Problem, die haben zumindest fußballerisch eine klarere Identität als die meisten anderen Clubs. Und wenn's nur 'ne corporate identity ist.
Wirklich die Eier, groß was Neues zu probieren, hat außer Nagelsmann aktuell aber wirklich keiner. Angst vor Fehlern sehe ich eher als auf dem Platz noch auf den Trainerbänken. Teilweise flüchtet man sich dann in kurzfristigen Pragmatismus, mit dem man sich langfristig nicht weiterentwickeln kann. Skripnik seinerzeit ist beispielsweise so ein tragisches Beispiel gewesen: Guter Fußball im Jugendbereich, pragmatische Anfangserfolge, verkrampfter, unstrukturierter Kampffußball danach - und weiter geht's im Trainerkarussell. Andere Trainer wie Hecking oder Labbadia sind dann mehr so der Typ "wir machen alles so ein bisschen und vielleicht setzen wir's ja gut um". Mal klappt das, mal klappt es nicht, farblos ist es immer. Und trotzdem werden diese Trainer immer wieder genannt, wenn sie gerade keinen Job haben und irgendwo was frei wird - weil sie solide Hausmannskost abliefern und man weiß, was man bekommt.
Nun braucht nicht jedes Darmstadt seinen Guardiola. Das wäre vermutlich auch kontraproduktiv. Das liegt allerdings nicht daran, dass es für guten Fußball teure Spieler braucht, sondern vor allem etwas, das man z.B. bei Werder in den letzen Jahren der Identitätslosigkeit verpennt hat: Nämlich die passenden Spielertypen für das, was man spielen möchte. Wenn man gar nichts möchte, aber den Pressingtrend mitschwimmt, weil man ja erstmal Wasser treten muss, bevor man noch absteigt, sammelt sich irgendwann ein Haufen bunt gemischter Spielercharaktere an, die alle irgendwie laufen können - und das war's dann fast. Nagelsmann z.B. hat den Kader radikal umgebaut. Vogt, Hübner, Demirbay, Wagner, ohne die Verletzung wahrscheinlich auch Rupp - alles Stammspieler und Leistungsträger, die Nagelsmann dazugeholt und mit einer klaren Aufgabe im System versehen hat. Dazu der konsequente Einbau von Nachwuchskräften wie Amiri und Toljan - und eben gut eingesetzte etablierte Leistungsträger wie Süle oder Rudy.
Gegenbeispiele zum Rumpelfußball gibt es immer wieder. Selbst (oder gerade) in England, einer Liga, die lange Zeit als Hort des Individualismus galt, haben in den letzten Jahren die Laudrups und Pocchetinos des Trainergeschäfts durchschnittliche zu guten Mannschaften gemacht, bevor sie entweder in die Wallachei oder einen Schritt nach oben auf der Karriereleiter gegangen sind. In Italien hat Sarri schon in Empoli großartige Arbeit geleistet und spielt mit Napoli jetzt sehr guten Fußball. In Spanien hat lange Zeit das kleine Rayo mit einem Haufen mittelmäßig begabter Leihspieler und schickem Ballbesitzfußball die Großen geärgert.
Mein Fazit wäre: Fußball ist grundsätzlich nicht so innovativ, wie er sein könnte und Deutschland hat das Pressing neu erfunden, ergo gibt's hierzulande recht viele langweilige Standardteams. So ganz grausam isses aber dann doch nicht und anderswo gibt's halt andere Macken (sogar der holländische Fußball hat seinen nationalen Dachschaden, indem ständig die Außenverteidiger das Spiel machen sollen, was so ziemlich die idiotischste wählbare Position für sowas ist). Aber alles kommt in Nuancen und die Entwicklung wird eher ins Positive gehen. Auch, weil junge Trainer nachrücken.
Gerade in Nouri setze ich durchaus Hoffnungen diesbezüglich. Der ist erklärter Fan des spanischen Positionsspiels, schwärmt von der Raumaufteilung in Dreierkettensystemen und wollte die zu RR-Beginn auch schon einmal ganz schick umsetzen. Mit Moisander und Kruse haben wir zumindest zwei sichere Stützen, die auch absolut zu schönerem Fußball passen würden. Delaney traue ich das auch zu, Augustinsson klingt ebenfalls spannend, Veljkovic entwickelt sich langsam, aber sicher zu einem durchaus spielstarken Halbverteidiger und der Sommer wird ja erst Nouris erste richtige Transferperiode. Noch dazu kann man auch anderen Spielern aus unserem Kader eine weniger auf lange Bälle und Umschaltangriffe bedachte Spielweise eintrichtern, da habe ich keine großen Bedenken.