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Fan-Projekt via Facebook
Erlebnisbericht vom 10.09.2017 Hertha BSC Berlin - Werder Bremen.
Wie bei jedem Spiel des SV Werder Bremen war auch das Bremer Fan-Projekt am vergangenen Sonntag in Berlin im Einsatz.
Schon bei der Ankunft der Busse der aktiven Bremer Fanszene in Berlin wurde schnell deutlich, was die Fans hier heute erwarten würde. Die anwesenden Polizeibeamten machten deutlich, dass es heute „in ihrem Berlin keinen Kindergarten" geben würde. So bekam schon auf dem Weg zum Olympiastadion die erste Person wegen „Wildpinkelns" ein Hausverbot für das Olympiastadion von der Berliner Polizei ausgesprochen. Die bereits bezahlte Eintrittskarte verlor ihre Gültigkeit.
Etwa 10 Minuten vor dem Anpfiff im Berliner Olympiastadion, wurden wir darauf aufmerksam, dass sich im unteren rechten Teil des Gästeblocks offensichtlich eine etwa zehn-köpfige Gruppe mit Sturmhauben bereit machte, um Pyrotechnik zu zünden. Eine Polizeieinheit bezog daraufhin Stellung im Innenraum sowie im Umlauf des Stadions, um das Abbrennen von Pyrotechnik zu dokumentieren.
Kurz vor Abpfiff der ersten Halbzeit bekamen wir mit, dass es in dem Bereich, in dem zuvor Pyrotechnik gezündet wurde, zu einer Rangelei zwischen Fans und Ordnern kam. Bis wir in dem entsprechenden Bereich ankamen, war die Situation allerdings bereits wieder aufgelöst und beruhigt.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit nahm das Fan-Projekt Bremen, gemeinsam mit dem Fan-Beauftragten des SV Werder Bremen, Kontakt mit dem zuständigen Einsatzleiter auf. In diesem Gespräch wurde deutlich, dass die Berliner Polizei in Bezug auf Pyrotechnik eine „Null-Toleranz-Schiene" verfolgt und sich für die Nachspielzeit bereit machen würde, mutmaßlich identifizierte
Personen in Gewahrsam zu nehmen. Die in der Regel praktizierte Vorgehensweise, im Nachhinein über die Bremer Szenekundigen Beamten eine Identifikation der verdächtigten Pyrozünder vorzunehmen, wurde in diesem Gespräch deutlich vom Einsatzleiter abgelehnt. Nach unserer Einschätzung hätte die von uns vorgeschlagene Maßnahme, welche an anderen Standorten üblich ist, die später entstandene Eskalation eingedämmt oder - im besten Fall - sogar verhindert. Stattdessen sprach der Einsatzleiter von einem „kurzen invasiven Eingriff", welcher aus seiner Perspektive unumgänglich schien.
Nach diesem Gespräch erreichte uns die Nachricht, dass es in der Halbzeit bereits zu einzelnen Festnahmen vermeintlich identifizierter Personen gekommen war. Die Polizei hatte Personen auf dem Weg zum Getränkeeinkauf oder dem Toilettengang aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Aufgrund dieser Informationen begaben wir uns zu der nahegelegenen Stadionwache, um uns nach dem Zustand der festgenommenen Personen zu erkundigen. Nach etwa einer halben Stunde erhielten wir die Information, dass diese Personen nach einer Erkennungsdienstlichen Behandlung vorrausichtlich wieder gehen dürften.
Kurz vor Ende des Spiels konnten die Mitarbeiter des Fan-Projekts Bremen dann im Umlauf des Gästebereiches feststellen, dass sich die Berliner Polizei auf ihren angekündigten „kurzen invasiven Eingriff", vermummt und behelmt, vorbereitete.
Nachdem ein Großteil der Stadionbesucher*innen das Stadion verlassen hatte, machte sich ein Teil der Bremer Ultraszene auf den Weg in Richtung Ausgang. Dort kam es dann direkt zu dem „Zugriff" der Polizei.
Das Fan-Projekt beobachtete, dass die Polizei mit aller Härte versuchte, Personen aus der Gruppe zu entfernen. Das führte zu einer weitläufigen Eskalation über den Kassenvorplatz des Olympiastadions. Aus der Bremer Fanszene konnten wir kaum Gegenwehr wahrnehmen, eher abwehrende Haltung bis hin zu Passivität beobachten. Allerdings wurden wir mehrfach Zeugen von unangebrachten Provokationen und Aussagen einzelner Berliner Polizeibeamter. So wurde unter anderem von einem Polizisten „Dit ist Berlin Du linke Fotze!", „Komm doch her, wenn du dich traust" und „Rauf jetzt, Männer!" gerufen. Etwa fünf Personen aus der Gruppe wurden in Gewahrsam genommen, dabei sah man immer wieder, wie ihnen schmerzhaft Augen, Mund und Nase zugehalten wurde.
Als der zweite Teil der Bremer Fanszene dann das Stadion verlassen wollte, wurde schnell klar, dass auch hier der Fokus der Polizei darauf lag, Personen aus der Gruppe heraus zu ziehen. Hier kam es dann vor dem Eingang des Stadions immer wieder zu vereinzelten Zugriffsversuchen, gegen die sich etwas vehementer gewehrt wurde.
Wir waren Zeugen davon, wie Berliner Polizist*innen immer wieder in die äußeren Reihen der Gruppe hineinboxten, traten und Kopfnüsse mit ihren Helmen austeilten. Die Gruppe wurde von allen Seiten bedrängt, so dass sich eine unübersichtliche und aufgeladene Situation entwickelte. Als die ersten Personen der zweiten Gruppe in Gewahrsam waren und abgeführt wurden, kam es auch hier immer wieder zu schikanierenden und gänzlich unprofessionellen Beleidigungen seitens der Beamten und Beamtinnen. Die Bezeichnung „Du linke Fotze" fiel erneut, auch "Hurensöhne" und "Selber Schuld" war zu vernehmen. Eine junge Frau, welche gerade auf schmerzhafte Weise abgeführt wurde, bekam von einem Polizisten eindringlich gesagt, dass sie jetzt „von der Berliner Polizei benehmen beigebracht" werden würde. Überall standen aufgebrachte Fans, die sich lautstark über das offensichtlich zu harte Vorgehen der Polizei empörten und die Situation filmten. Insgesamt wurden an diesem Nachmittag ca. 30 Personen der Bremer Fanszene über mehrere Stunden in Gewahrsam genommen, die uns im Nachhinein davon berichteten, auch während der Festnahme schikaniert worden zu sein.
Die Erkennungsdienstlichen Maßnahmendauerten bis 22.30 Uhr an. In Gesprächen mit einigen Beteiligten der zweiten Gruppe wurde uns
gegenüber immer wieder die Verwunderung über diese Polizeiaktion kundgetan, weil sich diese nicht verantwortlich für die Pyrotechnik sowie die Auseinandersetzung im Stadion sahen.
Das Fan-Projekt Bremen fordert eine Aufklärung der Vorkommnisse und hofft auf eine differenzierte Berichterstattung, welche die Fans nicht pauschal als Gewalttäter verurteilt und die eskalative Rolle der Berliner Polizei kritisch unter die Lupe nimmt.