Es war zu erwarten, dass dieses Spiel gerade bei dem Ergebnis dazu genutzt wird, mit dem Finger auf diesen und jenen zu zeigen. Das ist von hier bis zur Tischkante gedacht, aber aufgrund der fiesen Abstiegskampf-Situation sind halt nicht überall Nerven wie Drahtseile.
Gestern wurde von Fanseite und auch vom Verein eine Menge dafür getan, die bestmögliche Stimmung zu erzeugen. Und dazu gehören auch Klatschpappen, deren schlechter Ruf mir auch immer mal wieder übertrieben wird. Es ist nunmal so, dass es nicht nur beim kühlen Norddeutschen dafür sorgt, dass aus einem Teilzeitklatscher ein Dauerpappklatscher wird. Vom Ichmachmalmit-Fan zum Ichbindabei-Fan. Und die Masse wurde eben gestern umso mehr gebraucht, wenn andere Fangruppen fehlten.
Was man gestern aber auch in keinster Weise unterschätzen darf: die Ränge haben dem Spiel etwas gegeben, aber ebenso hat das Spiel den Rängen ne Menge gegeben. Stuttgart mit Auflösungserscheinungen, mit vielen Verletzten, das frühe Tor macht ausnahmsweise mal nicht der Gegner, sondern Werder selbst. Zur Halbzeit wird geführt... alles Gründe für Stimmung. Und gab es auch Funkensprünge schon beim Empfang des Mannschaftsbusses an die Mannschaft: ebenso flogen die Funken vom Rasen zurück.
Man sollte auch dran denken, dass die Stuttgarter Ultras ebenso das Spiel boykottierten und vermutlich waren es am Ende unter 1.000 Stuttgarter im Stadion. Gegenwehr gegen Bremer Freude war da nur einmal wirklich wahrzunehmen, da aber überspielte ein entstehendes "Werder! Werder! Werder!" schnell deren Ton.
Wenn man im Kampf um die Erstliga-Existenz in einem so wichtigen Spiel zur Halbzeit 3-1 vorne liegt und am Ende 6-2 gewinnt, dann gibts geile Stimmung, egal ob mit oder ohne Ultras. Die Frage wäre gewesen, was bei einem 1-2 kurz vor der dem Halbzeitpfiff passiert wäre. Oder einem 1-3 kurz nach Wiederanpfiff. Denn gerade die Ultras sind es ja, die Sprechchöre, Gesänge etc anstimmen. Eben dann, wenn der Rest erstmal wieder zurück auf die Sitzschale plumst.
Einige Fans haben sich nunmal zu einem Boykott entschieden, das muss man auch irgendwann mal akzeptieren. Das sind auch Menschen, das Fans, das sind Werder-Fans. Das sind Fans, die nicht nur ne Menge Herzblut, sondern auch extrem viel Geld in ihr Hobby Werder Bremen reinbuttern. Und gerade weil sie eben immer da sind betrifft eine weitere Aufteilung des Spieltages sie am meisten.
Ein, zwei Montagsspiele pro Saison in Bremen? Ja, das macht dem Fan nichts aus, sind halt Ausnahmen. Aber letzte Saison war es noch keines. Diese Saison sei es eine Ausnahme. Ab 2017/2018 soll es fünf Buli-Partien geben. Wenn man seinen Unmut nirgends zur Schau stellt, dann gilt es als hingenommen und dann haben wir ab 2022 wie die zweite Liga ständig ein Spiel am Montag. Und dank der Europapokalwochen mit ihren Dienstag-bis-Donnerstag-Spieltagen wird es dann auch öfter die Mittelklasse-Klubs treffen müssen. Wenn man nicht vorher dagegen seine Meinung verkündet, wann denn dann? Zugucken, wie mir der Kellner ins Glas schifft, aber dann noch trinken und ausspucken? Der Unmut muss vorher kundgetan werden, sonst wirds irgendwann eklig.
Und ja, ich fand den Totalboykott alles andere als optimal. Solidarität wird bei den Ultras groß geschrieben, aber die Stuttgarter haben eben aufgrund der langen Anreise einfacher ihren Boykott so titulieren können. Ist eben scheiße, wenn man aufgrund der Dortmund/Wolfsburg-Situation erst spät weiß, ob man wirklich Montagabend quer durch Deutschland reisen muss. Und dadurch zwangsläufig sowohl den Montag als auch Dienstag als Arbeitstag oder Schultag, Uni etc. beeinträchtigt. Daher habe ich damit gerechnet, dass die dann eh ganz boykottieren. Aus Bremer Sicht hätte ich es von den Werder-Ultras besser gefunden, wenn man mit Plakaten im Stadion gegen Montagsspiele demonstriert hätte. Oder eben einen Stimmungsboykott für 15 Minuten 30 Sekunden. Irgendwie sowas. Hat in der Vergangenheit in Fußballdeutschland ja auch schon stattgefunden. Und gerade bei den Werten und Aufrufen ("Alles geben!", "Erst kommt der Verein, dann man selbst") muss man sich als Ultra eben Kritik gefallen lassen. Da finde ich es aber wirklich albern, wenn diejenigen, die da über die Kritik hinaus ins Pöbelnde gehen, eben die eigenen Werte auch vergessen. Denn das passiert jetzt nur, weil gewonnen wurde.
Und die Schlussfolgerung "Es geht auch ohne Ultras" ist eine, die sich auf gestern bezieht. Die hat keine Allgemeingültigkeit. Zumindest am Aufstehen hindert niemand die Geraden, wenn es 0-3 gegen Leverkusen steht. Man darf da eben einerseits die Dynamik des Spiels und des Drumherums nicht vergessen und muss andererseits fragen: was wäre denn gewesen, wenn es gestern nicht in Bremen sondern in Stuttgart genau dieses Spiel gegeben hätte? Wäre da ein Boykott auch so blöd gewesen? Wer wäre denn anstelle der Ultras alles mit nach Stuttgart gefahren? Wer hätte dort ohne die Masse, Klatschpappen, Busempfang etc für Hexenkessel-Atmo gesorgt? Statt 15 Minuten Gehweg wären es knapp 7 Stunden Anreise.
Das interessiert leider in der Ultra-Diskussion nur selten. Ich selbst bin kein Bremer, ich habe in meinem Leben deutlich mehr Spiele auswärts verfolgt als im Weserstadion. Sollte der ein oder andere vielleicht auch mal öfter machen, der schon häufig im Weserstadion war. Ob Ultra oder wie auch immer man sie bezeichnen möchte, das sind Fans. Und dieser harte Kern an Fans, der hat mir schon viel Freude besorgt. Ich find nicht alles toll (bspw Pyro eben nicht), aber im Gegensatz zur Durchschnittspartie im Weserstadion wird bei Auswärtsspielen eben von 90% und mehr dauer-supportet. Wer hat bspw. schonmal Werder-Spiele in Leverkusen erlebt? Ist nur zu empfehlen. Gerade da geht Grün-Weiß immer richtig, richtig gut ab.
Und wenn man schon eine große Klappe hat und sich freut, dass dank der von Fans eingeleiteten Aktionen das Weserstadion und jeder Fan abging, dann sollte man mal bedenken, dass ohne den harten Kern von Werder-Fans beide wichtigen Aktionen im Abstiegskampf wohl nie zustande gekommen wären. AllezGrün ging glatt, weil vorher die Auswärtsfans in Leverkusen nach dem Spiel demonstrierten, das Rückhalt ihnen wichtiger und mit ihnen möglich ist. (
Video). Und die Wonderwall entstand, weil eine kleine Gruppe von Werderfans im Sommer in England das ganze Spiel über für geile Stimmung sorgte und den Oasis-Hit anstimmte. (
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Bei der Debatte, ob man Junuzovic nicht draußen lassen sollte, schreib ich seit Wochen "Es geht nur mit Junuzovic". Hier bei der Fan-Diskussion wird daraus jetzt ein "Es geht nur mit allen Fans".
Was hätte ich mich gefreut, wenn wir im Pokalfinale gewesen wären. Denn das waren in Berlin für mich die wohl besten Werder-Momente wenns um Fans geht. Da ist jeder ein Auswärtsfan, da ist man eine große Kurve, man ist zwischen Ultras, Teilzeitfahrern, Einmal-im-Jahr-Besuchern, Familien, Pöbelopas, es geht um viel und aufgrund der größe der Kurve, der Masse an Leuten stimmen oft alle mit ein. Zudem sorgt das Finale an sich, die Brisanz des Titelspiels für genug Atmo. Wenn man also irgendwann wieder der Meinung sei, es ginge auch ohne diesen oder jenen, dann zieht Werder einfach ins Pokalfinale ein, wir treffen uns alle in Berlin und bei der Titelfeier war mir bisher auch immer scheiß egal, wen ich umarme. Ultrageil wars immer.
PS: was Stevie sagt.